11. Projekttag - Unerwartete Wendung

Für den heutigen Projekttag hatte ich geplant, noch einmal alle Familienformen, mit denen wir uns bisher beschäftigt hatten, zu wiederholen und dann in die nächste Phase, in der die Kinder sich mit ihren eigenen Familien beschäftigen, überzuleiten. 
Im Zuge dieser Wiederholung kamen beim Thema "Regenbogenfamilie" einige Fragen auf. Zunächst wurde gefragt, ob ich tatsächlich gesagt hätte, dass eine Familie auch zwei Papas oder zwei Mamas haben könne und ob dies bedeuten würde, dass die beiden Männer dann auch gemeinsam in einem Bett schliefen und sich vielleicht sogar Küssen würden. Als ich dies bestätigte, lachten einige Kinder laut und es fielen Äußerungen, wie "Das ist ja ekelhaft". In diesem Moment war es schwer für mich, die Situation wieder zu beruhigen, so dass innerhalb der Gruppe folgende Situation entstand:
Ein Teil der Kinder lachte laut und es fielen Äußerungen wie "eklig" und "nicht normal". Der andere Teil der Gruppe wurde sehr ruhig und wirkte auf mich zum Teil verunsichert. Einige Kinder versuchten die anderen zu beruhigen, indem sie um Ruhe baten, damit ich weiter sprechen könne. 
Ich versuchte die Situation in den Griff zu bekommen, indem ich den Kindern mitteilte, dass ich spüren würde, wie dieses Thema bei einigen von ihnen offensichtlich viele Fragen aufwirft, sie aufbringt und es schön wäre darüber zu sprechen. Moritz, Felix und ich versuchten mit den Kindern darüber ins Gespräch zu kommen, warum einige es "eklig" fänden, wenn zwei Menschen, egal ob Mann oder Frau, sich lieben und dass Liebe zwischen zwei Menschen doch etwas Wunderschönes sei. Dies war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da ein Teil der Kinder nicht zu beruhigen war und sich weiterhin, wie oben beschrieben, verhielt. Aufgrund dessen entschloss ich mich dazu, es für diesen Tag dabei zu belassen. Ich teilte den Kindern allerdings mit, dass ich zu einem ruhigeren Zeitpunkt noch einmal gemeinsam mit den Kindern bei diesem Thema anknüpfen möchte. Die Kinder, die schon während des Gesprächs sehr aufgebracht reagiert hatten, äußerten auch an dieser Stelle Dinge wie: "Oh nein, ich will über dieses (Sex-)Thema nie wieder was hören".

Im Vorhinein hatte ich damit gerechnet, dass das Thema Homosexualität beziehungsweise Regenbogenfamilie bei einigen Kindern möglicherweise Fragen aufwerfen würde - auf eine solch heftige Reaktion war ich allerdings nicht vorbereitet! 
Ich habe anschließend ausgiebig überlegt, wie ich nun mit dieser Entwicklung umgehe und wie ich dieses Thema erneut aufgreifen kann, ohne etwas so "Besonderes" daraus zu machen. Genau das wollte ich nämlich nicht erreichen, dass die "Regenbogenfamilie" von den Kindern als etwas besonders Außergewöhnliches wahrgenommen wird - Ganz im Gegenteil, sie ist eine Familienform, wie jede andere auch und genau dieses Selbstverständnis wollte ich vermitteln.

Darüber hinaus habe ich reflektiert, warum die Reaktionen zum Teil so heftig ausgefallen sind. Zum einen könnte es für einige Kinder schlichtweg das erste mal gewesen sein, dass sie von dieser Familienform gehört haben und es war eine Reaktion auf etwas "Neues/Unbekanntes".
Zum anderen könnten diese Reaktionen mit der generellen sexuellen Entwicklung von Kindern im Grundschulalter zusammenhängen. Denn in dieser Zeit übernimmt das Schamgefühl bei Kindern die Oberhand und gleichzeitig werden Grenzen ausgetestet:

Im Verlauf des Grundschulalters werden bei vielen Kindern die ersten Sexualhormone ausgeschüttet. Diese bereiten die Geschlechtsreife in der Pubertät und das Interesse am anderen Geschlecht vor. In diesem Alter nimmt das Sachwissen über den menschlichen Körper und seine Sexualorgane zu. Gleichzeitig spielen die sozialen Tabus um Sexualität eine besondere Rolle. Sexualität wird daher als ambivalent und verwirrend erlebt, so dass sexuelles Verhalten weniger offen, wie in der Vorschulzeit, sondern versteckt im Verborgenen mit Schamgefühl vollzogen wird. Altersspezifisch sind auch obszöne Redensarten, zweideutige Witze, provokante Bemerkungen, die die Erwachsenen verunsichern und herausfordern sollen. Sinn und Zweck dieser versteckt-aggressiven Verhaltensweisen ist, sich an Sexualität heranzutasten, auszuprobieren, wie Sexualität im Alltag wirkt und wie Eltern und andere Erwachsene mit Sexualität umgehen (Dr. Ludger Kotthoff, 2015: Sexuelle Entwicklung. URL: http://www.schulische-praevention.de/wissensbereich-sexualitaet/sexuelle-entwicklung/ Zugriff am: 21.03.2015).

Wie das Thema erneut aufgegriffen wurde, kann in dem Eintrag des 13. Projekttages nachgelesen werden.

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